§ 43a Abs. 3 BRAO
Der Rechtsanwalt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.
Das Gebot der Sachlichkeit gehört seit jeher zu den anwaltlichen Berufspflichten und ist das Kennzeichen professioneller Arbeit. Schon deshalb kommt dem Gebot der Sachlichkeit auch in berufsrechtlicher Hinsicht ein hoher Stellenwert zu. Seine gesetzliche Grundlage findet das Gebot der Sachlichkeit in § 43 a Abs. 3 BRAO. Dort heißt es: „Der Rechtsanwalt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solchen herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.“ Der Gesetzestext enthält damit keine justiziable Definition der Sachlichkeit, so dass aus dem Tatbestand nicht abgelesen werden kann, was im Einzelfall jeweils „sachlich“ oder „unsachlich“ ist. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist dabei zu beachten, dass die anwaltliche Berufsausübung grundsätzlich der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Anwalts obliegt. Eine Beschränkung ist nur Ausnahmsweise und unter Beachtung von Art 12 Abs. 1 S. 2 GG (Berufsfreiheit) und Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) zulässig (BVerfG, AnwBl. 1987, 598). Unsachlich und justiziabel ist das anwaltliche Verhalten daher nur dann, wenn es gegen das „Verbot der Lüge“ oder das „Verbot der Beleidigung“ verstößt.
Verbot der Lüge
Nach § 43 a Abs. 3 S. 2 BRAO darf der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht bewusst die Unwahrheit verbreiten. Hiernach ist es dem Rechtsanwalt verboten bei seiner Berufsausübung unrichtige Tatsachenbehauptungen aufzustellen. Dieses sog. Lügeverbot ist generell uneingeschränkt und gilt gegenüber jedermann. Dies bedeutet zum einen, dass dem Rechtsanwalt jedwede Art der unwahren Tatsachenverbreitung untersagt ist, was auch für die sog. Notlüge gilt. Zum anderen gilt das Lügeverbot gegenüber jedem Adressaten des Rechtsanwalts, einschließlich Behörden und Gerichten, dem gegnerischen Mandanten, dem gegnerischen Rechtsanwalt als auch Zeugen und anderen Prozessbeteiligte. Zu beachten ist dabei, dass das Lügeverbot auch gegenüber dem eigenen Mandanten gilt. Die bewusste Falschunterrichtung oder unwahre Behauptung des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten z. B. dahingehend, dass er in der Sache bereits eine nennenswerte Tätigkeit entfaltet hat, eine Klage bereits eingereicht oder ein Schriftsatz an die Gegenseite schon erstellt sei, begründet regelmäßig einen berufsrechtsrelevanten Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot. Im Übrigen gilt das Lügeverbot grundsätzlich für die gesamte anwaltliche Berufsausübung und ist daher durch den Rechtsanwalt – zumindest nach wohl herrschender Rechtsansicht - in allen behördlichen und gerichtlichen Verfahren gleichermaßen zu beachten. Nur ausnahmsweise können sich hier aufgrund besonderer Vorgaben und verfahrensrechtlicher Besonderheiten etwaige Restriktionen oder Abweichungen ergeben. Dies gilt insbesondere für das Strafverfahren, wo sich z. B. im Hinblick auf Beweisanträge und die Benennung von unwahren Tatsachenbehauptungen oder für den Fall der Verfahrensrüge unter Berufung auf das Sitzungsprotokoll Ausnahmen ergeben können.
Inhaltlich bezieht sich das Lügeverbot zunächst nur auf Tatsachen und gilt grds. nicht für das Verbreiten und Vertreten einer (falschen) Rechtsauffassung. Eine Ausnahme kann insoweit nur dann in Betracht kommen, wenn sich das Verbreiten der Rechtsauffassung als Tatsachenbehauptung darstellt. Ein justiziabler Verstoß gegen das Lügeverbot setzt im Weiteren voraus, dass der Rechtsanwalt die Unwahrheit bewusst verbreitet und „wider besseren Wissens“ gehandelt hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Rechtsanwalt um die Unwahrheit seiner Tatsachenbehauptung positiv weiß. Allein der Umstand, dass dem Rechtsanwalt z. B. aufgrund des gegnerischen Sachvortrages oder einer gerichtlichen Beweisaufnahme die Unwahrheit seines eigenen Sachvortrages hätte bekannt sein müssen, ist rechtlich unerheblich und begründet nur ein bedingt vorsätzliches oder leichtfertiges Handeln. Den Rechtsanwalt trifft grundsätzlich auch keine besondere Pflicht unklare Sachverhalte auszuforschen oder zweifelhafte Informationen des Mandanten aufzuklären. Der Rechtsanwalt darf nämlich grds. den Angaben seines Mandanten vertrauen. Dies gilt auch nach einer aus tatsächlichen Gründen verlorenen Instanz und der Einlegung von Rechtsmitteln. Eine Ausnahme kann im Einzelfall aber ausnahmsweise dann bestehen, wenn sich berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen ergeben. Abgesehen von dieser engen Ausnahme greift das Verbot der Lüge nur dann, wenn der Anwalt die Unwahrheit seiner Behauptung positiv kennt. Das Lügeverbot greift auch dann, wenn der Rechtsanwalt eine vom Gegner aufgestellte Behauptung, deren Wahrheit er positiv kennt, konkret oder pauschal mit Nichtwissen bestreitet. Verboten ist dem Rechtsanwalt grds. nur das Verbreiten der Unwahrheit. Insoweit gilt, dass das bloße Verschweigen der Wahrheit grds. keinen Verstoß gegen das Lügeverbot begründet. Falsche Angaben des Mandanten, die ohne Veranlassung durch den Rechtsanwalt erfolgt sind, muss der Rechtsanwalt auch bei positiver Kenntnis nicht richtig stellen, darf sie aber auch nicht aktiv wiederholen oder übernehmen. Das Lügeverbot ist daher nicht mit einer unbedingten Wahrheitspflicht gleichzusetzen. Auch das Einlegen aussichtsloser Rechtsmittel begründet grds. keinen Verstoß gegen das Lügeverbot. Insoweit kommt allerdings eine anwaltliche Schlechtleistung und ein Anspruch des Mandanten auf Schadensersatz in Betracht.
Verbot der Beleidigung
Als unabhängiges Organ der Rechtspflege und als der berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden hat der Rechtsanwalt die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe erlaubt es dem Anwalt nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Das BVerfG betont daher, dass der Anwalt im „Kampf um das Recht“ auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, Urteilsschelte üben oder „ad personam“ argumentieren darf (BVerfG, BRAK-Mitt. 1988, 54 ff.). Dabei ist nicht entscheidend, ob der Rechtsanwalt seine Kritik auch anders hätte formulieren können. Grundsätzlich muss auch ein anwaltliches Verhalten hingenommen und toleriert werden, das als ungehörig, als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden oder allgemein als unsachlich gewertet wird. Dies gilt in berufsrechtlicher Hinsicht selbst dann, wenn das Verhalten des einzelnen Rechtsanwalts dem Ansehen des Anwaltsstandes im Allgemeinen abträglich ist (AGH Bremen, BRAK-Mitt. 2009, 286 ff.). Aus alle dem folgt der Schluss, dass allein eine herabsetzende Äußerung für sich genommen noch nicht ausreichend ist, um einen berufsrechtlich relevanten Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot zu begründen. Eine Berufspflichtverletzung ist erst dann anzunehmen, wenn die Herabsetzung nach Inhalt oder Form als strafbare Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung zu beurteilen ist und nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt ist.
Im Einzelfall kann sich dabei häufig die Frage stellen, ob die herabsetzende Äußerung überhaupt schon die Schwelle zur strafbaren Beleidung überschreitet. Abgesehen von Formalbeleidigungen oder von sog. Schmähkritik, ist hierbei immer genau abzuklären, ob die herabsetzende Äußerung in Auseinandersetzung mit der Sache erfolgt ist oder die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. In Fällen, in denen die Zulässigkeit einer Äußerung in Frage steht, ist anhand einer Abwägung die Deutung des Aussageinhalts vorzunehmen. Hierbei verbietet sich eine isolierte Betrachtung allein eines bestimmten Teils der monierten Äußerung. Vielmehr muss die herabsetzende Äußerung immer im Kontext des gesamten Sachgeschehens und Argumentierens durch den Anwalt gewertet werden. Vor diesem Hintergrund kann eine herabsetzende Äußerung je nach den Umständen des Einzelfalles schon als strafbare Beleidigung oder als noch erlaubte Äußerung eingestuft werden. In der rechtlichen Wertung ebenso schwierig erweist sich häufig auch die Frage, ob die herabsetzende Äußerung in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt ist. Grundlegende Voraussetzung für eine solche Annahme ist dabei zunächst, dass die anderen Beteiligten oder der Verfahrensverlauf zu der herabsetzenden Äußerung überhaupt einen Anlass gegeben haben. Eine Berufung auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen kann dann ausgeschlossen sein, wenn grob leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen ehrenrühriger Art aufgestellt werden. Der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist zudem auch dann ausgeschlossen, wenn die herabsetzende Äußerung nicht mehr der Interessenwahrnehmung zu Gunsten des Mandanten dienen kann oder sollte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich das beleidigende Verhalten als eine neben der Sache liegende Herabsetzung darstellt. Insgesamt besteht häufig nur ein schmaler und zudem normativer Grad zwischen einer ungerechtfertigten herabsetzenden Äußerung und einem berufsrechtlich noch erlaubten Verhalten. Dabei ist aber jedenfalls das subjektive Gefühl einer etwaigen Herabsetzung kein rechtsrelevanter Maßstab.